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30.08.2022

Stille Tandtaten 1/3: Hut

Sven Bloes

Hat, ca. 1890 
Jordan Marsh & Company, American, MET Open Access.
The following text is part of a triptych of German prose snippets by Sven Bloes, which will be published here over the following weeks. Object-centred and witty, they tell humorous stories with a philosophical twist.

Mir wurde ein plötzlicher Hut vor die Füße gelegt. Von hier musste man ihn aufheben. Dieser geringen Anstrengung nicht zu schade, gelangte der Hut ganz schnell, nach einem kurzweiligen Abklopfen des Findlings, auf meinen Kopf - dort soll er wahrscheinlich seine Aufgabe erfüllen, hatte ich mir zeigen lassen. Der Hut jedoch, der seither auf meinem Kopf saß und frech vor allem die kleineren unter den Leuten, die mir begegneten, hämisch von oben herab anglänzte, verstand sich in störenden Eigenheiten. Das erste Mal, als ich ihn anzog, schmeichelte er mir erst, dann knitterte er sich flach zusammen und lag dort, wie ein Tablett auf der haarigen Hand eines Kellners. Kein feinerer Gast eines Lokals würde sich dies ersehnen, geschweige denn sich die Vorstellung dessen herbeiwünschen. Ohne Vorwarnung blies der Hut sich nach mehreren Momenten der Plattheit prompt auf, wie wenn es aus Langeweile geschehe. Dann sah es so aus, als ob er, wie ein Heißluftballon prall gefüllt, mit meinem Kopf davonzutreiben beabsichtigte. Der Hut machte sich einen Spaß aus diesem Spiel. So wurde mir auch dies unterlassen; die feinen Damen zu grüßen, indem ich ihnen durch ein Abziehen des Hutes mein Haupt zu entblößen verstand, doch jenes nicht ausführen konnte, solange der Hut über mir absichtlich aus- und einatmete. Unter dieser Schmach wurde mir mehr als nur ein einziges Mal eine gerunzelte Stirn offenbart, die kurzerhand mit dem Rest des an ihr hängenden Körpers die Flucht ergriff. Neulich gelang es dem Hut sogar, mich in meiner Wohnung an dem sonst nackten Ständer neben der Eingangstür vorzufinden, nachdem ich ihn von einer Brücke geworfen hatte und dachte, mich endgültig von ihm gelöst zu haben. Er hing also dort und rührte sich nicht, doch irgendetwas rührte sich doch. Ich nahm den Hut und drehte ihn mehrfach zwischen meinen Fingern. Nichts Besonderes war festzustellen, also hängte ich ihn wieder an seinem Stachel auf. Der Hut folgte mir seit jeher ständig; morgens, wenn ich aus dem Hause ging, schraubte er sich auf meinen Schädel. Dort trieb er seine Kindereien, vor allen Leuten. Mit der Zeit konnte ich mich daran gewöhnen, wie verständnislose Zeugen der Erscheinung des Hutes mir aus dem Weg schritten und beim Vorbeigehen der Hut sich ihnen noch ärger zuwandte, wenn sie sich weiterhin umzudrehen wagten. Achtsamkeit muss man des Öfteren schweifen lassen, um den Zufall zu entdecken. Heute fand alles ein Ende, aus einer mir bislang nicht geklärten Lust blieb ich stehen und legte den Hut vor mir auf die Erde hin. Ich musste niesen und genau in diesem Augenschluss hat der Hut sich wohl davongezogen.︎

Sven Bloes studied German literature and language. He writes down all kinds of things, be it prose or poetry, satire, essays or analyses of movies or texts. Sometimes, he shows tiny bits on his Instagram @zve_ blo 

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