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Entry #3 23.09.2021

Salty Glitches

Till Rückwart 
     
#001 Salty Glitches 


Salty Glitches ist eine 6 Satelliten-Fotografien umfassende dokumentarische Arbeit über die Beziehung zwischen Menschen, Technologie und Natur. Sie zeigt digitale Störungen – auch Glitches genannt – die aufgrund fehlerhafter Software auf Google Earth bzw. Google Maps zum Vorschein kommen. Diese Glitches treten in unterschiedlichen Regionen der Erde auf. Salty Glitches zeigt vier von ihnen in den Salzwüsten Südamerikas. Sie lassen uns leicht irritiert, aber dennoch staunend zurück. Während sie offenbaren, dass die Darstellung der Erde durch Google nur eine brüchige Simulation ist, lenken sie gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf eine Region, in der Lithium abgebaut wird: die Chilenische Atacama-Wüste und das Argentinische Caucharí-Olaroz. So laden die Glitches dazu ein, unser Verständnis von Wahrheit im Umgang mit digitalen Medien zu hinterfragen und die Logik hinter der Präsentation von Satellitenbildern auf Google Maps besser zu verstehen, während sie fast schon poetisch die Betrachter*innen an jene Orte führen, wo der Erde die Ressourcen für die Batterien ihrer Smartphones und Laptops entzogen werden.
#002 Salty Glitches


Satellitenbilder und ihre öffentliche Distribution in Google Maps 

Seit 2005 betreibt Google die Mapping Services Google Maps sowie Google Earth und ermöglicht damit User*innen weltweit, auf ein global vernetztes Kartierungssystem und hochauflösende Satellitenbilder zuzugreifen. Die Bilder der Erdoberfläche stammen dabei im dicht besiedelten urbanen Raum meist von Kameras die unter Flugzeugen angebracht sind, während das Bildmaterial des dünn besiedelten ruralen Raums von Satelliten stammt. Google betreibt keine eigenen Satelliten, sondern bezieht die Daten unter anderem von Airbus, Landsat (NASA) oder – im Fall der Fotografien von Salty GlitchesMAXAR Technologies. Wenn wir uns mit der Darstellung der Erde in Google Maps befassen, müssen unweigerlich auch die weiteren Funktionen der Anwendung in Betracht gezogen werden. Denn in erster Linie handelt es sich um ein System, das unsere Realität reguliert – und Regulierung ermöglichen will.

Die Daten für die Straßenpläne und Navigation stammen von unterschiedlichen lokalen Unternehmen. Weiter werden alle via GPS mit Google verbundenen Endgeräte – bspw. Smartphones – getrackt und geben in Echtzeit Informationen über die Verkehrslage und entsprechend auch die Position der User*innen. Dadurch kann Google möglichst präzise Auskünfte zum aktuellen Geschehen auf den Straßen gewährleisten. Dann können Akteure jeglicher Branchen ihre Geschäfte, Gastronomie, Büros und weiteren Institutionen selbstständig bei Google anmelden und auf Google Maps sichtbar machen. Grundlage für ein funktionierendes System sind also vor allem die vielen User*innen, ob als Businesspartner oder schlicht Gäste einer Unterkunft, die ihren Aufenthalt bewerten und damit das System aufrechterhalten, das sich aus immer wieder miteinander im Netzwerk agierenden Akteuren speist. Wer nicht partizipiert, bleibt verborgen und läuft Gefahr, nicht mehr als Teil der Realität wahrgenommen zu werden. Während die Technologie von Google eine scheinbar vollumfängliche und lückenlos durchsuchbare Repräsentation der Welt ist, wird gleichzeitig kaschiert, dass eben diese Technologie durch ihr Interface und ihr datensammelndes Profiling auch die Modi des Nutzer*innenverhaltens auf Google beeinflusst. Das Verwenden von Google Maps ist also keine per se freie Verfügung von Subjekten über einen hilfreichen Service, sondern „that map in turn operates on them.“ [1]. Trotz der Vielzahl von Innovationen durch Googles Technologien, darf nicht die Agenda eines gewinnorientierten und in alle Lebensbereiche expandierenden Unternehmens außer Acht gelassen werden: „Its mission is built upon a constant movement, the foundation for any form of mapping and exploration, here defined in the form of the digital movement of its users and their data, and in that of the geopolitical movements of the company itself at a global level.“ [2]

Als 1994 in den USA unter Bill Clinton die Policy on Foreign Access To Remote Sensing Space Capabilities in Kraft tritt, ermöglicht dies lizensierten Firmen den Handel mit Satellitenbildern. Waren es zuvor nur staatlich regulierte Institutionen wie das Militär und ausgewählte Forschungseinrichtungen, die über das Material verfügen und Bürgerinnen und Bürger weltweit überwachen durften, so sind es nun auch Großkonzerne wie Google. Satelliten repräsentieren durch ihre immense Finanzierung und jahrelange Planungen die Kumulation von Industrie, Militär und privatwirtschaftlicher Forschung – sie stehen Sinnbild für ein kapitalistisches System. Unter diesen Bedingungen bezeichnete es Lisa Parks als eine Aufgabe der Cultural Studies „to wrestle the satellite out of the orbit of its ‘real agencies’ so that it can be opened to a wider range of social, cultural, artistic, and activist practices.“ [3]

Indem Services wie Google Maps ihre Technologien verwenden, um die geopolitische Einflusskraft auf Produktion von Wissen, Gestaltung von Innovation und Politik und letztlich Verhalten von User*innen zu steigern, bilden sie zugleich nämlich auch das Fundament für aktivistische und künstlerische Diskurse, die eben diese Technologie und zugrundeliegende Machtstrukturen nachvollziehen, offenlegen und kritisieren wollen.




#003 Salty Glitches 


Glitches als Phänomen und Counter-Mapping Methode

Eine bekannte künstlerisch-aktivistische Strategie im Umgang mit Satellitenbildern und Karten ist Counter-Mapping. Darunter versteht sich nicht zwangsläufig die radikale Neuerfindung von Karten. Vielmehr sollen durch das Aufgreifen der Kartendarstellung, einer Appropriation, Teilaspekte der Karte in neue Zusammenhänge gebracht werden, um zum einen Kritik an der Vorstellung einer vollständig erfassbaren Repräsentation von Wirklichkeit durch eine Karte zu üben und zum anderen die Fehler und Unstimmigkeiten dieser Art von Repräsentation aufzudecken. Eine Taktik des Counter-Mappings ist das Dokumentieren und Exponieren von Glitches – also digitalen Fehldarstellungen.

Der Begriff Glitch fasst audiovisuelle Irritationen zusammen, die in digitalen Umgebungen unerwartet auftreten. Das können verheerende Fehler sein, durch die das Ensemble (bestehend aus Hardware und Software) zusammenbricht. Häufiger sind es kleine Störungen – im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚glitschen‘. Zwar hindern letztere Glitches Technologie nur marginal am Funktionieren, aber sie offenbaren sich den User*innen in einem spontanen Moment des Schocks und Kontrollverlusts. „Rather than creating the illusion of a transparent, well-working interface to information, the glitch captures the machine revealing itself.” [4] Was Rosa Menkman hier nahelegt, sind die zur Reflexion anregenden Qualitäten des Glitches. Denn, indem das Subjekt – wie vom Glitch getroffen – die allzu glänzende und fehlerfreie Oberfläche der Maschine infrage stellt, leiten sich aus dem Glitch heraus unerwartete (Be-)deutungsebenen ab, die den Prozessen (eben nicht) nahtlos funktionierender Software durchs Netz gehen: „[W]hen a glitch opens up to the realm of symbolic or metaphorical connotations, the interruptions shifts from being a strictly informational or technological actuality, into a more complex post-procedural phenomenon to be reckoned with.” [5]

Wenn wir die bunten Quadrate der Fotoserie Salty Glitches betrachten entstehen neue Narrative. Wir fragen uns: Warum und wie entstehen diese Farbfelder? Weshalb sehen sie unterschiedlich aus? Wodurch wird bestimmt, wo sie auftreten? Vielleicht bewirken sie, dass wir uns die Regionen, in denen sie auftreten, genauer anschauen.

Letztlich können die Glitches unsere ganz persönlichen Sehgewohnheiten auf Google Maps und damit unser Verhältnis zu der Technologie beeinflussen. Nachdem ich den ersten Glitch entdeckt hatte, wollte ich weitere solcher Fehler finden, sie in einer Tagliste sammeln und mehr über sie herausfinden. 



#004 Salty Glitches 


Ein Blick auf Salty Glitches

Das zentrale Motiv des Projekts sind vier gleichgroße rechteckige Flächen in den Gebieten der Salzwüsten Atacama und Caucharí-Olaroz. Ich bin auf sie gestoßen, als ich auf Google Maps Lithiumminen in der Atacamawüste gesucht habe, die Edward Burtynsky [6] fotografiert hatte. Die Regionen zeichnen sich durch den weißen Untergrund der Salzseen und Salzwüsten aus. Auf Google Earth oder Google Maps (mit aktivierter Satellitenebene) betrachtet, weist jedes Rechteck individuelle farbliche Abweichungen in Rot, Grün, Gelb und Blau auf, während die Erdoberfläche darunter erkennbar bleibt.

Die Visualisierung von Google Maps besteht nicht aus einer einzigen Fotografie, sondern aus vielen einzelnen Satellitenbildern. Durch Orthorektifizierung werden die zweidimensionalen Bilder zu einer Darstellung, welche die Erdkrümmung simuliert, zusammengefügt. [7] Satellitenbilder werden nicht wie bei einer üblichen Digitalkamera mit einer Linse aufgezeichnet, sodass ein Bildsensor die optische Filterung in „natürliche“ Farben in RGB vornimmt (Red Green Blue – additiver Farbraum für die Darstellung von digitalem Bild). Stattdessen verwenden Satelliten für ihre Aufnahmen mehrere Linsen: darunter auch drei Single-Band Linsen für die Farbkanäle R Rot, G Grün und B Blau.

Das Bildmaterial soll immer auf einem möglichst aktuellen Stand gehalten werden. Sowohl das formgebende Anpassen der Bilder als auch das farbgebende Zusammensetzen der Bilder wird in regelmäßigen Abständen automatisch durch Software durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen Algorithmus, der die Satellitendaten encodiert und in ein kleines Datei-Format komprimiert (damit die Informationen schnell auf allen Geräten geladen werden).  Beim Betrachten der Glitches können wir also folgende Aussagen zur Software-Hardware Konstellation von Google Maps und der technischen Apparatur der Satelliten treffen:


  1. Die Erde – dargestellt durch Google Maps – spiegelt nicht unsere Realität wieder. Es ist eine softwarebasierte Simulation von Wirklichkeit, deren Verschleierung durch Störungen wie Glitches aufgedeckt werden kann.
  2. Ein Satellitenbild setzt sich aus mit Single-Band Linsen erstellten Bildern zusammen. Die Addition der Bilder zu einer Darstellung im RGB-Farbraum geschieht durch Software. Software ist nicht unfehlbar.

Die Fotografien wurden im Februar 2021 erstellt. Sie bilden eine Momentaufnahme auf Google Maps und Google Earth ab, da sich die Services ständig aktualisieren. Heute (Stand: 22.09.2021) sieht der Glitch der Bilder Salty Glitches 002 und Salty Glitches 006 anders aus. Das Satellitenbild stammt vom März 2021. Daraus geht hervor, dass nicht die Fotografien der Satelliten den Fehler erzeugen, sondern die Software von Google.

Die Bilder der Salzwüsten Atacama und Caucharí-Olaroz stammen von MAXAR Technologies. Beispielsweise bei den Salzseen Australiens bezieht Google auch Bildmaterial von CNES/Airbus. Auch in dieser Region finden sich die gleichen Glitches, allerdings haben die Fehler deren Bild von CNES/Airbus stammt andere visuelle Merkmale: die Erdoberfläche ist nicht so deutlich erkennbar, stattdessen haben sie ein schachbrettartiges Pixelmuster.

Wenn auch durch Softwarefehler erst hervorgerufen, lässt sich anhand der Glitches ein Wissen zu den Technologien hinter Google Maps und Satelliten ableiten. Sobald Google die Welt nahtlos und „fehlerfrei“ darzustellen vermag, wird es deutlich erschwert solche Erkenntnisse zu gewinnen und die Machtpositionen solcher Großkonzerne können sich weiter ausbauen.  


#005 Salty Glitches 


#006 Salty Glitches 


Die ökologischen Folgen der Lithiumindustrie

Neben der Reflexion über das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie bieten die Salty Glitches auch Raum, die einschneidenden Interventionen des Menschen in das Ökosystem der Erde nachzuvollziehen. Die abgebildeten Regionen haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu den größten Abbaugebieten für Lithium entwickelt. Durch den unstillbaren Bedarf nach kleineren Lithiumbatterien für Smartphones, Laptops und weitere technologische Objekte sowie der zunehmenden Nachfrage nach leistungsstarken Akkus für die Elektromobilität, wächst die Industrie in allen Salzregionen der Erde in einem rasanten Tempo an.

Für die Gewinnung des seltenen Lithiums wird der Erde das Wasser entzogen, indem es an die Erdoberfläche gepumpt wird. In Aufbewahrungsbecken verdunstet es und lässt ein Gemisch aus Lithium, Salz und weiteren Mineralien zurück. Das Lithium wird für die Weiterverarbeitung herausgefiltert und die Überreste zurück in die Erde gepumpt. Für die Regionen hat dieser Prozess verheerende Folgen. Die Vegetation in der ohnehin trockenen Umgebung leidet unter dem Wasserentzug. Teile der einheimischen Bevölkerung sieht ihre Existenz bedroht. Brunnen werden trockengelegt und damit landwirtschaftlicher Anbau und Versorgung von Vieh vereitelt. Nicht zu vergessen: die immense Veränderung der Umwelt durch das Einrichten einer Infrastruktur für die Industrie.

Andererseits birgt der Abbau großes wirtschaftliches Potenzial und bietet einem Großteil der Bevölkerung einen sicheren Arbeitsplatz. Die Lithiumindustrie ist für die Länder Südamerikas also Fluch und Segen zugleich.

Irrealitäten

Eine Fotografie aus dem Orbit kann niemals die Summe von Einzelschicksalen und Ereignissen auf der Erde repräsentieren. Sie bildet mit dem Lithiumabbau ein Momentum, bei dem es sich um einen sehr komplexen Sachverhalt handelt, der wirtschaftliche, soziale, ökologische und nicht zuletzt aktuelle technologische Prozesse mitbestimmt. Die Arbeit versucht lediglich einen anderen Zugang zu der Thematik zu schaffen: über Brüche in den Technologien. Vier QR-Codes leiten zu den abgebildeten Glitches auf Google Maps weiter – bei aktivierter Satellitenebene. Beim spielerischen Erkunden der Regionen, der Glitches und der riesigen Anlagen der Minenunternehmen auf den eigenen Smartphones, entsteht eine materielle Verbindung zwischen Betrachter*innen und den Regionen in den sich die Glitches befinden. Denn das Lithium in den Batterien der Smartphones stammt aus eben diesen Salzwüsten in Chile und Argentinien.

Während ich diesen Text schreibe, lassen sich die Glitches der Fotoserie noch in ihren Medienumgebungen auf Google Maps betrachten. Es ist ungewiss für wie lange das noch der Fall sein wird. Vavarella bezeichnet es treffend: „[W]hat we consider the realm of visuality is constantly processed and dislocated via media technologies“. [8] Lücken, Fehler und Glitches in digitalen Kartierungssystemen werden stetig „gefixt“. Die Terms of Use werden aktualisiert und folglich andere Nutzungsverhalten evoziert. Die fortschreitende Verschleierung der technologischen Apparatur verfolgt das Ziel uns davon zu überzeugen, dass das, was uns gezeigt wird, die wirkliche Welt sei. Aber sie ist es nicht. ︎

Till Rückwart studies European Media Sciences at Universität Potsdam/Fachhochschule Potsdam.



[1] Vavarella, E. (2020) On Counter-Mapping and Media-Flânerie: Artistic Strategies in the Age of Google Earth, Google Maps and Google Street View. In (Eds.) S. Popat and S. Whatley: Error, Ambiguity, and Creativity. Cham: Palgrave Macmillan. S. 139.

[2] Ibid.

[3] Parks, L. (2005) Cultures in Orbit Satellites and the Televisual. Durham and London: Duke University Press. S. 13.

[4] Menkman, R (2011) The Glitch Moment(um). Amsterdam: Institute of Network Cultures. S. 30

[5] Ibid.. S.27

[6] Burtynsky, E. (2018) “A Good Anthroposcene”. Edward Burtinsky. Stand : 05.09.2019
https://www.edwardburtynsky.com/news-hub/2018/9/5/a-good-anthropocene

[7] “Orthorectification” OSSIM. Stand: 02.07.2014
https://trac.osgeo.org/ossim/wiki/orthorectification

[8] Valvarella. On Counter-Mapping and Media-Flânerie. s. 144.


“Google Maps” Alphabet Inc.
https://www.google.com/maps

Dorn, F.M. (2020) Changing territorialities in the Argentine Andes: lithium mining at Salar de Olaroz-Cauchari and Salinas Grandes, Berlin: Die Erde.

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